Die philosophische Notiz (Buch)

Rainer Otte
Die philosophische Notiz
Stationen und Ansichten einer großen kleinen Denkform

236 Seiten, Broschur
ISBN 978-3-941743-91-5

Printausgabe: 18,00 Euro
E-Book (PDF): 13,00 Euro

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Die Notiz ist von lakonischer Kürze. Wir schreiben im Moment auf, was immer uns einfällt oder auffällt. Alles scheint bewegt, und nichts ist für ewig fertig. Die Notiz setzt irgendwo ein und bricht ebenso schnell wieder ab, um den Stab an eine zukünftige Zeit abzugeben. Der Leser fremder Notizen erlebt Gedanken, die ihren  Ausdruck und passende Worte entweder suchen oder soeben gefunden haben. Die spontanen, oft hastigen Aufschriebe können Strohfeuer darstellen, Geistesblitze oder Nüsse, in deren Schalen künftige Einsichten und Werke schlummern. Sie können aber auch ein bestehendes Werk in Frage stellen und durch Kritik vom Notizenrand her sabotieren. Autoren wie Paul Valéry oder Ludwig Wittgenstein pochen geradezu darauf, dass systematische Schriften fern der Luzidität der Notiz schnell zur Lüge werden. Ihnen gilt die Notiz als besonderer Ausdruck der Geistesgegenwart, die einengenden Denkzwängen entkommen will.

Rainer Otte folgt den Entwicklungen der philosophischen Notiz von der Antike an mit einer doppelten Neugier. Wie lebt und wie denkt es sich mit dem notierenden Stift in Reichweite? Frappierend ist, wie leicht Autoren mit hingeworfenen Notizen in komplexe geistige Abenteuer und Denkstrukturen geraten. Dann wiederum stehen sie in ihren Notizen, ungeachtet ihrer eindrucksvollen Werke, immer wieder am bescheidenen (Neu-)Anfang. Nachgelassene Notizen bieten späteren Lesern Blicke durchs Schlüsselloch. Der Autor, der Mensch und seine Lebenswelt gewinnen darin schärfere, mitunter überraschende Konturen. Denn geschrieben wurden Notizen in der Regel im Schutz der Privatheit und selten mit Blick auf eine Leserschaft.

Wer die Gedanken eines anderen verstehen will, kommt um eigenes Denken nicht herum. Vergleichbares gilt für Notizen: Die eigene Erfahrung, Philosophisches zu notieren, kann grundlegend helfen, ein tieferes Verständnis für die Notizen berühmter Philosophen zu erschließen. Rainer Otte will Autoren wie Heraklit und Hippokrates, Montaigne und Pascal, Leibniz, Lichtenberg und Kant, Schopenhauer, Kierkegaard und Nietzsche, Valéry und Wittgenstein oder Benjamin, Camus und Canetti nicht allein als Meister der kleinen spontanen Form interpretieren. Es geht ihm darum, die Haltung des Notierens, deren Beweggründe und ihre Praxis zu verstehen. Die Notiz entpuppt sich als eine existenziell grundierte Denkform. Für den Autor dieses Buches wäre das schönste Ergebnis der Lektüre, wenn ihr Funke in die notierende Praxis des Lesers überspringt und wenn beide sich wechselseitig erhellen.

Inhalt

Vorwort
Von der Neugier auf die kurzen Texte der Philosophie 7

Erstes Kapitel
Von der Geburt der Philosophie in der kleinen Form 15
  Die Kurzprosa der Sutren 16
  Das Lun-yu des Konfuzius 19

Zweites Kapitel
Schweigen, Reden, Notieren 23
  Von Pythagoras zu Sokrates 23
  Heraklit 25
  Hippokrates oder die Notiz auf Wanderschaft 29

Drittes Kapitel
Vom Himmelsstreben zu zweifelnden Federn 37
  Die Notiz im Versuch: Michel de Montaigne 44
  Die frühe Blüte der Notiz: Blaise Pascal 48

Viertes Kapitel
Zettelwelt und System: Gottfried Wilhelm Leibniz 55
  Die aufgeklärte Notiz 62
  Die Notiz geht aufs Ganze: Immanuel Kant 69

Fünftes Kapitel
Entdeckungen der Notiz: Welten, ganz fern und nah 83
  Die Notizen und das Eine: Arthur Schopenhauer 91
  Der Spion im Dienst der Selbsterkenntnis: Sören Kierkegaard 99
  Hammer und Feder: Friedrich Nietzsche 109

Sechstes Kapitel
Platzhalter und Entfesselungskünstler 121
  Die Morgenstunden der Notiz: Paul Valéry 134
  Die Notiz als Lebensform des Geistes: Ludwig Wittgenstein 146

Siebtes Kapitel
Sieben Versuche über die Denkform der Notiz 167
  Die Skizze 167
  Bruch und Beginn 170
  Korrespondenzen 176
  Der Widerspruch 182
  Die Atemnotiz 187
  Zurückgeblättert 191
  Quodlibet 197

Nachwort
Aus der Notizenwerkstatt 203

Literatur und Anmerkungen 210

Der Autor

Dr. Rainer Otte (*1956) studierte an den Universitäten Marburg und Tübingen Philosophie, Vergleichende Religionswissenschaften und Kunstgeschichte und promovierte über die Philosophie des Leibes in der Aufklärung. Einige Jahre war er als Dokumentarfilmer unterwegs. Seit 1987 hat er als Wissenschaftsjournalist mit den Arbeitsbereichen Medizin, Psychologie, Wirtschaft und Philosophie für renommierte Zeitungen und Zeitschriften gearbeitet, Sachbücher und philosophische Werke vorgelegt. Er lebt heute als Publizist im Südharz.

Buchveröffentlichungen (Auswahl):

Der Stachel der Verantwortung – Nachhaltiges Denken und wirtschaftliche Vernunft (Frankfurt 1986); Thure von Uexküll - Von der Psychosomatik zur Integrierten Medizin (Göttingen 2001); Wenn Ethik der Fall ist – Narrative und Kasuistik in der Medizin (Frankfurt 2003); Wenn weniger mehr ist – Philosophie der Bescheidenheit (Berlin 2012); Geistesblitz im Dämmerlicht – Was die Intuition in der Philosophie zu suchen hat (Berlin 2015);  Also sprach der Rabe – Denken mit Tieren (Berlin 2017); Schweben.Denken. Eine andere Geschichte der Philosophie (Berlin 2018).